Wie hoch ist das Risiko bleibender Behinderung durch einen MS-Schub?

10.04.10 | Viele Patienten mit schubförmiger MS fürchten sich vor katastrophalen Symptomen wie zum Beispiel „Ich könnte morgens aufwachen und gelähmt sein.“, schreiben Khemissa Bejaoui und Loren A. Rolak in ihrem wissenschaftlichen Artikel, der im März 2010 in der renommierten Fachzeitschrift Neurology erschienen ist.[1] Auch hätten einige Ärzte anekdotische Erfahrung mit Patienten, die nach einem akuten Schub bleibende Behinderungen zurückbehielten, und zögern möglicherweise, mit einer Therapie zu warten bzw. eine Therapie zu beenden, aus der Sorge heraus, dass dann ernsthafte Behinderungen die Folge sein könnten.

Wie hoch das Risiko bleibender Behinderung durch einen MS-Schub sei, wollten die beiden Wissenschaftlerinnen aus der Abteilung für Neurologie in der Marshfield Klinik in Wisconsin, USA, erforschen. Als bleibend definierten sie dabei eine Behinderung entsprechend EDSS-Wert 6.0 oder höher,[2] die mindestens sechs Monate anhielt. Dazu analysierten sie die Krankenakten aller 1078 MS-Patienten, die in Marshfield in Behandlung waren.

Bei diesen 1078 Patienten waren insgesamt 2587 Schübe dokumentiert. Das waren im Durchschnitt 2,4 Schübe pro Patient, über einen Zeitraum von einem bis 15 Jahren. Darunter befanden sich nur sieben Patienten mit einem Schub, der zu einem bleibenden EDSS-Wert von 6.0 oder höher führte. Genetische Untersuchungen dieser sieben Patienten förderten keine Besonderheiten der MS-typischen Gen-Loci HLA-DR oder NOS2A zu Tage, auch waren keine wie auch immer gearteten klinischen Faktoren zu erkennen, die sie von den restlichen MS-Patienten unterschieden hätten.
Zwei dieser sieben Patienten waren unter Interferonbehandlung, als der schwere Schub eintrat.

Die Autorinnen der Studie schlussfolgern aus diesen Ergebnissen, dass die Furcht vor einem plötzlichen schweren Schub keinen Einfluss auf Behandlungsentscheidungen nehmen sollte, weil solche Schübe äußerst selten, nämlich in einem Verhältnis von 1:500 aufträten, egal, ob eine Interferonbehandlung erfolgt oder nicht.

Genügend Zeit für eine sorgfältige Diagnosestellung sehen daher Dr. John Fleming und Dr. Michael Carrithers, zwei Ärzte in der Klinik in Marshfield. In einem Kommentar zu der Studie stellen sie fest: „Manchmal wird so getan, als seien die Diagnose und die Therapie bei Verdacht auf MS quasi ein medizinischer Notfall. Demnach sollte eine Therapie sofort begonnen werden, um eine Katastrophe zu verhindern, die innerhalb von Monaten auszubrechen droht. Wenn der Verdacht auf MS besteht, dann hat der Neurologe jedoch ausreichend Zeit, die richtige Diagnose zu stellen und die optimale Behandlung für den individuellen Patienten festzulegen.“

Die MS ist bis heute nicht heilbar. Als Hauptziele der MS-Therapie gelten gegenwärtig die möglichst vollständige Rückbildung von Symptomen, die durch einen Schub ausgelöst werden, die Vorbeugung weiterer Krankheitsschübe, die Verhinderung bzw. Verlangsamung der Entwicklung dauerhafter neurologischer Defizite (Krankheitsprogression) und bei eingetretenen dauerhaften Behinderungen eine Stabilisierung der Einschränkung auf möglichst niedriger Beeinträchtigungsstufe.[3]
Die Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung der MS der Deutschen Gesellschaft für Neurologie sehen die Hauptaufgabe der MS-Therapie (Schubtherapie, die verlaufsmodifizierende Therapie und die symptomatische Behandlung) zurzeit in der Eindämmung bzw. Verhinderung der MS-typischen entzündlichen Krankheitsaktivität sowie die adäquate Behandlung der MS-Symptome.

Quellen:

[1] Bejaoui K, Rolak LA.
What is the risk of permanent disability from a multiple sclerosis relapse?
Neurology. 2010 Mar 16;74(11):900-2.

[2] MS-Gateway.de: Was ist die EDSS?

[3] Deutsche Gesellschaft für Neurologie, 29.01.2009:
Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Multiplen Sklerose. (PDF)
Eingesehen 10.04.2010

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